Die Pflegereform war längst fällig: Die Pflegeversicherung gibt es in Deutschland nunmehr seit bereits 25 Jahren; viel geändert hat sich seitdem nicht. Bedenkt man nun aber den demographischen Wandel und das steigende Alter der Bevölkerung, sollten die wichtigsten Grundzüge erneuert werden. Immerhin bedeutet das steigende Alter der Bevölkerung, dass immer mehr Menschen pflegebedürftig werden und man mehr Pflegekräfte benötigt. Somit müssen nicht nur die Rechte der Pflegekräfte erweitert werden. Auch sollten Angehörige Pflegebedürftiger und die Pflegebedürftigen selbst stärker unterstützt werden. Genau das sah die Pflegereform vor. Leider kommen mit dem aktuellen Gesetzesentwurf nur einige der ursprünglich zahlreichen geplanten Änderungen zum Tragen. Welche das genau sind, lesen Sie hier:
Die wichtigsten Ziele der Pflegereform
Oberstes Ziel der Pflegereform ist es, Pflegebedürftige und deren Angehörige finanziell zu entlasten. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn soll die gesamte Entlastungssumme bei immerhin drei Milliarden Euro liegen. Profitieren werden vor allem die Pflegebedürftigen, die langfristig auf Pflege angewiesen sind. Die Entlastung steigt insgesamt, je länger man eine Pflege in Anspruch nehmen muss. Eine wichtige Neuerung, die ab dem 01.09.2022 in Kraft tritt: Es sollen nur noch die Pflegeeinrichtungen zugelassen werden, die ihre Mitarbeiter nachweislich nach Tarif bezahlen. Diese Pflegekräfte bekommen dann aber mehr Verantwortung als bisher. So soll es für sie künftig möglich sein, Hilfsmittel zu verordnen und Entscheidungen hinsichtlich der häuslichen Pflege zu treffen.
Zahlreiche Punkte hinsichtlich der häuslichen Pflege, die zur Entlastung eigentlich geplant waren, hat die Pflegereform 2021 allerdings nicht berücksichtigt. Stattdessen wurde die „Pflegereform light“ verabschiedet. Ihre wichtigsten Punkte sind die Erhöhung der Pflegesachleistungen und der Pflegehilfsmittel.
Pflegesachleistungen: Diese Neuerungen gibt es
Die Sachleistungen sind eine der wenigen Punkte, die bei der aktuellen Pflegereform berücksichtigt wurden. Wer mindestens in Pflegegrad 2 eingestuft ist, kann sich hier über eine Erhöhung freuen. Diese Änderungen gelten ab 01.07.2022:
- Pflegegrad 2: Erhöhung der Sachleistungen von 689 Euro auf 724 Euro
- Pflegegrad 3: Erhöhung der Sachleistungen von 1.298 Euro auf 1.363 Euro
- Pflegegrad 4: Erhöhung der Sachleistungen von 1.612 Euro auf 1.693 Euro
- Pflegegrad 5: Erhöhung der Sachleistungen von 1.995 Euro auf 2.095 Euro
Die größte Entlastung erfahren also Pflegebedürftige mit Pflegegrad 5: Bei ihnen beträgt die Erhöhung immerhin 100 Euro. Von der Erhöhung profitiert man ab dem 01.01.2022. Diese Sachleistungen werden auch als Pflegehilfe bezeichnet. Sie gilt nur dann, wenn Pflegebedürftige in Ihrem eigenen Zuhause und nicht in einer Pflegeeinrichtung wie einem Pflegeheim gepflegt werden. Der Grund für die Anhebung der Pflegehilfe um fünf Prozent ist schnell erklärt: Die Löhne von Pflegedienstpersonal steigen fortan, so dass Pflegebedürftige für ihre Pflege tiefer in die Tasche greifen müssen.
Was sind Sachleistungen genau? Es handelt sich um den Einsatz von professionellen Pflegekräften sowohl in der ambulanten Pflege als auch in der Tages- oder Nachtpflege. Für alle Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2, Pflegegrad 3, Pflegegrad 4 und Pflegegrad 5 übernehmen die Krankenkassen die Kosten für dieses Fachpersonal bis zum oben genannten Betrag. Der Begriff Sachleistung ist dabei etwas irreführend, denn es handelt sich nicht um eine Sach-, sondern eher um eine Dienstleistung. Dabei kann es sich um Hilfen bei der Körperpflege, dem Einkaufen oder der Bewegung handeln. Auch das Reinigen der Wohnung zählt zu diesen Sachleistungen. Voraussetzung ist, dass der MDK Sie in mindestens Pflegegrad 2 eingestuft hat. Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 haben keinen Anspruch auf die Sachleistungen. Sie können lediglich den sogenannten Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro im Monat in Anspruch nehmen. Dieser Entlastungsbetrag ist für alle Pflegegrade gleich hoch.
Eine Kombination dieser Sachleistungen mit dem Pflegegeld war bislang unter dem Namen Kombinationsleistungen bekannt. Diese Kombipflege kann weiterhin ab Pflegegrad 2 beantragt werden. Der Sinn hinter dieser Kombileistung: Pflegebedürftige haben die Möglichkeit, neben der 24h Betreuung durch einen Angehörigen zu Hause zusätzlich einen ambulanten Pflegedienst zu beauftragen. So soll eine bestmögliche und individuell auf den zu Betreuenden abgestimmte Pflege erreicht werden.
Die Kombinationsleistung wird anteilig berechnet. Das bedeutet: Der Anspruch auf Geld von der Pflegekasse verringert sich um den Prozentsatz der ausgeschöpften Sachleistungen. Ein kleines Rechenbeispiel: Werden die ihm zustehenden Sachleistungen nur zu 80 Prozent in Anspruch genommen, steht ihm Geld von der Pflegekasse nur zu 20 Prozent zur Verfügung. Die Ihnen zustehenden Kombinationsleistungen können Sie übrigens mit einem Pflegegeldrechner leicht selbst bestimmen. Einen solchen finden Sie vielfach kostenfrei im Internet.
Die vorgenannten Leistungen zum besseren Verständnis kurz zusammengefasst:
- Werden Sie ausschließlich von Familienangehörigen gepflegt, beantragen Sie Pflegegeld
- Erfolgt die Pflege durch einen Pflegedienst, stehen Ihnen Sachleistungen zu
- Teilen sich Angehörige und ein Pflegedienst Ihre Betreuung, nutzen Sie die Kombinationsleistung
Ein entsprechender Antrag für eine der vorgenannten Leistungen kann formlos erfolgen und wahlweise per Anruf, Brief oder Fax gestellt werden. Kurze Zeit später erhalten Sie von Ihrer Krankenkasse alle benötigten Formulare, die Sie dann ausfüllen und zurücksenden.
Pflegehilfsmittel: Das ist seit der Reform neu
Die monatliche Pauschale für Hilfsmittel zur Pflege wird mit der Pflegereform von momentan 40 Euro auf 60 Euro im Monat angehoben. Solche Hilfsmittel sind zum Beispiel Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel und alles weitere, was man für die tägliche Pflege von Angehörigen benötigt. Sie alle dienen dazu, die häusliche Pflege zu erleichtern. Neben den zum Verbrauch zählenden Hilfsmitteln gibt es auch technische Hilfsmittel wie zum Beispiel das Pflegebett. Für alle technischen Hilfsmittel muss die pflegebedürftige Person allerdings einen Eigenanteil von zehn Prozent, maximal 25 Euro, dazu bezahlen. Kleiner Tipp: Größere technische Hilfsmittel wie zum Beispiel das Pflegebett werden von Sanitätshäusern auch verliehen, so dass Ihr Eigenanteil entfällt. Die Kostenübernahme für alle vorgenannten Hilfsmittel erfolgt durch Ihre zuständige Krankenkasse, bei der Sie einen entsprechenden Antrag stellen müssen. Im Jahr 2023 soll es eine erneute Anpassung des Grundbetrages geben. Es ist also davon auszugehen, dass die monatliche Pauschale dann noch einmal angehoben wird. Von diesen aktuellen Änderungen sind alle Pflegegrade betroffen.
Änderungen bei der Kurzzeitpflege
Auch bei der Kurzzeitpflege gibt es ab 2022 eine wichtige Änderung: Der Betrag steigt von bisher 1.612 Euro auf 1.774 Euro; das entspricht einer Erhöhung der Leistungen um 10 Prozent. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Kurzzeitpflege ändern sich nicht. Anspruch auf eine solche haben alle Pflegebedürftigen, die mindestens in Pflegegrad 2 eingeteilt sind. Sie haben maximal acht Wochen im Kalenderjahr die Möglichkeit der vollstationären Pflege, sollte die häusliche oder die teilstationäre Pflege nicht möglich sein. Die Pflegekasse übernimmt von nun an für Aufwendungen für diese Betreuung einen Betrag von bis zu 1.774 Euro statt bisher 1.612 Euro.
Wie bisher gilt auch weiterhin: Sollten Zuschüsse der Verhinderungspflege nicht in Anspruch genommen werden, kann der Zuschuss für die Kurzzeitpflege auf bis zu 3.386 Euro (statt bisher 3.224 Euro) im Jahr erhöht werden.
Was aber ist die Kurzzeitpflege genau? Es handelt sich um eine 24h Betreuung, die pflegende Angehörige entlasten soll. Meist wird die Kurzzeitpflege nach einem Aufenthalt im Krankenhaus nötig oder auch dann, wenn die pflegende Person in den Urlaub fahren will. Kurzzeitpflege kann für maximal acht Wochen im Jahr beantragt werden. Für diesen Zeitraum übernehmen die Pflegekassen die Kosten für eine vollstationäre Pflege. Das ist allerdings nur von Pflegegrad 2 bis 5 möglich. Wer in Pflegegrad 1 eingestuft ist, kann die Kurzzeitpflege nicht beantragen. Für alle anderen gilt seit der neuen Pflegereform: Es ist ein Zuschuss von bis zu 1.774 Euro im Jahr möglich.
Übergangspflege im Krankenhaus
Eine weitere wichtige Änderung der Pflegereform betrifft die Übergangspflege im Krankenhaus. Die Krankenkassen übernehmen für einen Zeitraum von maximal zehn Tagen Leistungen in dem Krankenhaus, in dem die eigentliche Behandlung erfolgt ist. Zu diesen Leistungen zählen:
- Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln
- die Grund- und Behandlungspflege
- das Entlassmanagement
- Unterkunft und Verpflegung
- ärztliche Behandlungen
Diese Leistungen werden durch die Krankenkasse immer dann übernommen, wenn eine häusliche Pflege oder eine Kurzzeitpflege nicht möglich sind.
Mehr Kompetenzen für Pflegende
Von dem GVWG, dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz, profitieren vor allem jene, die in der Pflege beschäftigt sind. Sie sollen nicht nur höhere Löhne, sondern auch deutlich mehr Kompetenzen erhalten. Das bedeutet konkret: Ab dem 01.09.2022 sollen Pflegekräfte ausschließlich nach Tarif bezahlt werden. In Pflegeheimen wird zudem ab dem 1. Juli 2023 ein bundeseinheitlicher Personalschlüssel gelten. Pflegefachpersonen soll es von nun an möglich sein, selbst über den Einsatz bestimmter Hilfsmittel zu bestimmen. Auch Entscheidungen über die häusliche Pflege dürfen sie künftig selbstständig fällen. Zur Finanzierung der Pflegereform ist ab dem Jahr 2022 ein Bundeszuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro pro Jahr geplant. Dafür steigt der Beitrag zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Prozent. So soll die Pflegeversicherung jedes Jahr einen Zusatzbeitrag in Höhe von 400 Millionen Euro erhalten.
Nicht umgesetzte Reformvorhaben
Einige positive Punkte gibt es bei der Pflegereform wohl. Angehörige von Pflegebedürftigen sind dennoch enttäuscht, denn der größte Teil der angekündigten Entlastungen wurde nicht umgesetzt. Keine Erhöhungen gibt es zum Beispiel beim Pflegegeld, dem Entlastungsbetrag, der Verhinderungspflege und der Tagespflege. Bis zum Jahr 2025 sind hier definitiv keine Erhöhungen geplant. Diese vorgenannten Entlastungsleistungen bleiben also nach wie vor auf dem Niveau von 2017.
Was viele besonders schade finden: Ursprünglich war geplant, den Eigenanteil für eine Unterbringung im Pflegeheim auf 700 Euro, unabhängig der Pflegegrade, zu begrenzen. Dieses Vorhaben wurde leider nicht in die Tat umgesetzt. Stattdessen ist nun folgende Staffelung geplant: Im ersten Jahr der Heimunterbringung übernehmen die Pflegekassen einen Anteil von 5 Prozent. Dieser soll im zweiten Jahr der Unterbringung auf 25 Prozent, im dritten Jahr auf 45 Prozent und im vierten Jahr der Unterbringung sogar auf 70 Prozent angehoben werden. Die Krux bei der Sache: Laut Statistik sterben die meisten Heimbewohner im ersten oder zweiten Jahr ihrer Heimunterbringung und können diesen Vorteil daher nicht nutzen.
Diese Leistungen stehen Ihnen weiterhin zur Verfügung
Ungeachtet der aktuellen Pflegereform haben Pflegebedürftige weiterhin Anspruch auf folgende Leistungen:
- Pflegeberatung
- Pflegekurse
- Geld für die Pflege: gestaffelt je nach Pflegegrad zwischen 316 und 901 Euro
- Tages- und Nachtpflege: Leistungen zwischen 689 und 1.995 Euro
- Entlastungsbetrag: Unabhängig vom Pflegegrad in Höhe von 125 Euro
- Kombinationsleistungen: ab Pflegegrad 2 möglich
- wohnumfeldverbessernde Maßnahmen: Zuschuss von maximal 4.000 Euro
- vollstationäre Pflege ab Pflegegrad 1: Leistungen zwischen 125 und 2.005 Euro
Besonders interessant für die meisten Pflegebedürftigen sind die wohnumfeldverbessernden Massnahmen. Sie sollen pflegebedürftigen Personen ermöglichen, so lange es geht in ihrem gewohnten Umfeld wohnen zu bleiben. Planen Sie also zum Beispiel ein barrierefreies Bad oder den Einbau eines Treppenliftes, beteiligen sich die Kassen mit bis zu 4.000 Euro an den Kosten. Laut Gesetzesentwurf sollte sich auch hier mit der Pflegereform eine Änderung ergeben und der Betrag auf 4.200 Euro aufgestockt werden. Leider wurde auch dieses Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt.
Fazit
Sie haben nun einen Überblick über alle geltenden Änderungen seit Einführung der Pflegereform im Juni 2021 erhalten. Fakt ist: Das meiste, was ursprünglich geplant war, wurde aus Kostengründen nicht umgesetzt. Wer einen Angehörigen zu Hause pflegt, ist von der Pflegereform also eher enttäuscht und hatte sich mehr versprochen. Aus diesem Grund wird die Pflegereform vielerorts belächelt und scherzhaft als „Reförmchen“ bezeichnet. „Eine Pflegereform, die diesen Namen nicht verdient“ – so betiteln andere den neuen Gesetzesentwurf. Keine nennenswerten Leistungsverbesserungen, keine spürbare Verringerung des Armutsrisikos durch die eigene Pflegebedürftigkeit und zweifelhafte Regelungen zur besseren Bezahlung von Pflegenden: Das sind die wesentlichen Kritikpunkte, die an der Pflegereform bemängelt werden.
Natürlich sollte die Pflegereform nicht nur negativ bewertet werden. Die positiven Neuerungen haben wir Ihnen bereits umfassend beschrieben. Was wir noch nicht erwähnt haben: Fortan werden Pflegebedürftige und ihre Angehörigen auch bei der Suche nach einem geeigneten Pflegeplatz unterstützt. Zu diesem Zweck wurde eine Internetplattform aufgebaut, wo Pflegeheime ihre freien Plätze eintragen können. Ebenfalls neu sind die digitalen Pflegekurse, die im Internet angeboten werden.